Neue Perspektiven

Der Horizont, die Himmelsrichtungen, die Bewegung der Sonne und die Eiszeitalter in der Erdgeschichte. Um die Realität des menschgemachten Klimawandels, der schnellen Veränderung der alpinen Umwelt und des Dahinschwindens unserer Gletscher aufzuzeigen, lenkt die Installation Our Glacial Perspectives des Künstlers Olafur Eliasson den Blick auf die großen Zusammenhänge in Zeit und Raum und die Entwicklung der Erde.
Die beeindruckende, begehbare Installation aus Torbögen, Stahlringen und blauen Glasplatten wurde 2020 im Auftrag der Talking Waters Society in rund 3.200 Metern Höhe auf dem Grat nordwestlich der Grawand geschaffen. Sie ist von der Bergstation der Seilbahn auf einem kurzen, einfachen Fußweg zu erreichen und eröffnet ganz besondere Perspektiven auf die umgebende Bergwelt und auf das große Ganze des Eises in der Erdgeschichte.

Our Glacial Perspectives

2020 wurde auf dem Grat, der von der Bergstation Grawand in nordwestliche Richtung zur Grauen Wand führt, eine beeindruckende, begehbare Installation aus Torbögen, Stahlringen und blauen Glasplatten geschaffen. Auf rund 3.200 Meter bietet Our Glacial Perspectives des dänischen Künstlers isländischer Herkunft, Olafur Eliasson, einen Blick in die Erdgeschichte und ihre Eiszeitalter, um uns indirekt auf die menschengemachte Klimaveränderung aufmerksam zu machen.
Die im Auftrag der Talking Waters Society entstandene Installation ist auf einem kurzen, einfachen Fußweg zu erreichen.

Durch Eiszeitalter wandern

Die Erde hat vier große Eiszeitalter durchlaufen, in denen wenigstens ein Pol vereist war. Das fünfte, das quartäre Eiszeitalter, hat vor rund 2,6 Millionen Jahren begonnen und dauert noch an. Die klimatischen Schwankungen im Laufe der Erdgeschichte lassen sich an heutigen Landschaften, geologischen Aufschlüssen und Sedimentablagerungen ablesen.

Im ersten Teil seiner Installation Our Glacial Perspectives lässt Olafur Eliasson die Besucher auf dem rund 3200 Meter hoch gelegenen Grat die großen Eiszeitalter auf einem 410 Meter langen Weg mit neun ungleich verteilten Torbögen begehen. Durch diese tritt man in die verschiedenen Eiszeitalter ein und wieder aus, die Entfernungen von Torbogen zu Torbogen sind proportional zur unterschiedlichen Dauer der Eiszeitalter und der dazwischen liegenden Zeiten mit warmen Klimaten.

Das Ganze im Blick

Our Glacial Perspectives führt über den Weg durch die Eiszeitalter zu einer Himmelskugel am höchsten Punkt des Grates. Die Kugel misst 6,8 m im Durchmesser und ist aus Stahlringen geformt, auf denen Glasplättchen in unterschiedlichen Blautönen angebracht sind. Der Horizont, die Himmelsrichtungen und die Bahnen der Sonne lassen die Größe von Raum und Zeit erfahren.
Damit lenkt Olafur Eliasson den Blick auf die Entwicklung der Erde, die Veränderungen des Klimas und deren Auswirkungen auf unsere Umwelt – vor allem auf die Gletscher.

Ein Weg durch die Eiszeitalter der Erde

2,4 Milliarden Jahre auf 410 Metern: auf dem Grat von der Grawand zur Grauen Wand wandern die Besucher durch die fünf großen Eiszeitalter unserer Erde. Olafur Eliasson macht deren Dauer und die Zeitspannen dazwischen durch neun Torbögen sicht- und erlebbar.

Huronisches Eiszeitalter

Das Huronische Eiszeitalter, auch – Achtung, Zungenbrecher! – paläoproterozoische Vereisung genannt, begann vor rund 2,4 Milliarden Jahren. Etwa 300 Millionen Jahre lang war die Umgebung um den heutigen Nordpol durchgehend vereist, mehrfach stieß Meereis bis in niedrige Breiten vor.

2,4 bis 2,1 Milliarden Jahre vor heute

Es war mit einer Dauer von etwa 300 Millionen Jahren das längste Eiszeitalter der gesamten viereinhalb Milliarden Jahre langen Geschichte der Erde. Benannt wurde diese Ära nach dem Huronsee Nordamerikas, wo Sedimentgesteine wichtige Rückschlüsse auf die damaligen Gletscherbewegungen erlauben. Als mögliche Ursache dieses Eiszeitalters wird die Abnahme des Gehalts an Methan diskutiert, ein wichtiger Bestandteil der Ur-Atmosphäre und ein hochwirksames Treibhausgas. „Schuld“ an der Abnahme des Methangehaltes dürfte die „Erfindung“ der Fotosynthese durch Cyanobakterien gewesen sein, die zu einer allmählichen Zunahme von Sauerstoff in der Atmosphäre führte. Am Ende derHuronischen Vereisungen traten die ersten Eukaryoten auf, Organismen mit einem echten Zellkern, zu denen auch die Säugetiere und damit wir Menschen zählen.

– Text Ch. Spötl, Univ. Innsbruck

Cryogenium

Das Cryogenium begann vor rund 720 Millionen Jahren und dauerte etwa 90 Millionen Jahre. Vieles deutet darauf hin, dass die Erde in dieser Phase zweimal fast gänzlich vereist war („Schneeball Erde“).

720 bis 630 Millionen Jahre vor heute*

Das zweitälteste Eiszeitalter der Erdgeschichte umfasst eine geologisch sehr spannende Zeit, die zu zwei fast völligen Vereisungen der Erde bis in Äquatornähe führte – bekannt auch unter dem Namen Schneeball Erde. Als möglicher Auslöser dieser gigantischen Klimaänderungen wird das Zerbrechen des damaligen Superkontinents Rodinia gehandelt, verbunden mit massivem Flutbasalt-Vulkanismus. Es dürfte kein Zufall sein, dass genau am Ende des Cryogeniums die ersten mehrzelligen tierischen Organismen auftraten.

*Der am Weg dargestellte Beginn des Cryogeniums vor 850 Ma beruht auf überholten Informationen. Vor einigen Jahren wurde diese stratigraphische Grenze von auf 720 Ma verlegt (z.B. ICS-GeologicalTimescale2020-03). Genau genommen müsste Torbogen 3 etwas näher zu Torbogen 4 versetzt werden.

– Text Ch. Spötl, Univ. Innsbruck

Anden-Sahara-Eiszeitalter

Das Anden-Sahara-Eiszeit begann vor rund 460 Millionen Jahren und dauerte „nur“ 40 Millionen Jahre. Vereisungsspuren im heutigen Südamerika und Nordafrika zeugen davon.

460 bis 420 Millionen Jahre vor heute

Diese erdgeschichtliche Periode, auch Hirnantische Eiszeit genannt, bereitet den Fachleuten noch einiges an Kopfzerbrechen. Eindeutige Vereisungsspuren finden sich in Westafrika und den Anden, die damals, lange vor der Öffnung des Atlantiks, am Südpol lagen. Als Auslöser dieser globalen Abkühlung und Polvereisung wird die beginnende Evolution der Landpflanzen diskutiert. War die Landoberfläche der Erde bis vor etwa 460 Millionen Jahren vegetationsfrei (sieht man von Flechten ab), so entwickelte sich die umfangreicher werdende Pflanzendecke zu einem neuen Klimafaktor, da diese die chemische Verwitterung der Gesteine massiv beschleunigte und so zu einer Abnahme des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre führte.

– Text Ch. Spötl, Univ. Innsbruck

Karoo-Eiszeitalter

Dieses Eiszeitalter begann vor rund 360 Millionen Jahren und dauerte etwa 100 Millionen Jahre. Die Vereisung bedeckte den riesigen einstigen Südkontinent Gondwana.

360 bis 260 Millionen Jahre vor heute

Diese auch als permokarbones Eiszeitalter bekannte Zeit am Ende des Erdaltertums umfasste eine ausgedehnte Vergletscherung eines damaligen Großkontinents auf Südpolposition, Gondwana genannt, der später in die heutigen Kontinente Afrika, Südamerika, Indien, Antarktis und Australien zerfiel, auf denen man heute noch die Spuren dieser großen Vereisungen finden kann (u.a. in der Karoo-Wüste Südafrikas, daher der Name). Einer der Auslöser der Klimaabkühlung dürfte die vorangegangene Steinkohlenzeit gewesen sein, im Zuge deren gigantische Mengen an organischer Substanz abgelagert wurden und so der Atmosphäre große Mengen an Kohlenstoff entzogen wurden; dies bedeutete einen Rekordrückgang des atmosphärischen Kohlendioxidgehalts und somit einen stark verringerten Treibhauseffekt.

– Text Ch. Spötl, Univ. Innsbruck

Quartäres Eiszeitalter

Wir leben heute in einer Warmphase des jüngsten Eiszeitalters, das vor rund 2,6 Millionen Jahren begann. Die letzte Kaltphase erreichte ihren Höhepunkt vor rund 25.000 Jahren. Seit rund 11.700 Jahren befinden wir uns in einer Zwischeneiszeit.

2,58 Millionen Jahre bis heute

Das jüngste Eiszeitalter ist das einzige der gesamten Erdgeschichte, welches zu einer Vergletscherung beider Polbereiche führte (der Nordpol selbst kann, da im Ozean gelegen, nicht vergletschern, wohl aber weite Teile Nordamerikas, Nordsibiriens und natürlich die Insel Grönland). Die quartären Vereisungen setzten vor etwa 2,6 Millionen Jahren in der Arktis ein und führten zu einer Achterbahn des Klimas mit längeren Kaltphasen (Eiszeiten) und kürzeren Warmphasen (Interglaziale). Wir leben seit 11.700 Jahren in einer solchen Warmphase, die auf eine rund 100.000 Jahre währende Kaltzeit, die jüngste Eiszeit, folgte. Diese erreichte vor etwa 25.000 Jahren ihren Höhepunkt und ließ die Gletscher u.a. auch hier in den Alpen stark anwachsen; der Meeresspiegel sank um bis zu 130 m ab.

– Text Ch. Spötl, Univ. Innsbruck

Die Himmelskugel

Eine Himmelskugel ist eine Hohlkugel, die den Beobachter mit einem gedachten Himmelsgewölbe umgibt. Der Weg durch die Eiszeitalter endet auf 3212 Metern Höhe an der Himmelskugel, dem zentralen Teil der Installation Our Glacial Perspectives von Olafur Eliasson. Sie ist aus Stahlringen geformt, die mit unterschiedlich blauen Glasplättchen besetzt sind. Die Stahlringe sind so positioniert, dass sie als astronomisches Instrument den Verlauf der Sonne am Himmel an den beiden Sonnwendtagen und zu den beiden Tagundnachtgleichen nachzeichnen. Weitere Stahlringe zeichnen die Horizontlinie, die Nord-Süd- und die Ost-West-Achse. An jedem der Ringe sind zudem in symmetrischen Abständen gläserne Rechtecke angebracht, die es erlauben, die momentane Tageszeit zu bestimmen.

Die Blautöne

Die an den Stahlringen angebrachten Glasscheiben sind in verschiedenen Blautönen gehalten. Sie orientieren sich am Cyanometer, einer Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten Skala zur Messung der Intensität der Himmelsfarbe. Das farbige Glas filtert und reflektiert Licht und Sonnenstrahlung und schafft damit so etwas wie eine Mini-Atmosphäre.

Die (Be-)Deutung

Horizont, Himmelsrichtungen, die Bewegung der Sonne, die Atmosphäre und die Markierung der Eiszeitalter: all dies verweist auf die großen Zusammenhänge von Zeit und Raum, auf die Entwicklung der Erde, deren Klimaschwankungen und Eiszeitalter und schlussendlich auf den menschgemachten Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die alpine Umwelt und die schwindenden Gletscher. Auch der Hochjochferner zu Füssen der Installation ist am Zerfallen.